Wissen und Technik

Affen mit Kultur

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Zwölf Jahre beobachteten Forscher Schimpansen im Norden des Kongo. Sie entdeckten einen einzigartigen Umgang mit Werkzeugen.

Stockwerk. Cleve Hicks hat die Stockkultur der Kongo-Schimpansen entdeckt.

Eigentlich ist es nur ein simpler Stock. Immerhin 2,5 Meter lang, ein gutes Stück länger sogar als der hochgewachsene Verhaltensforscher Cleve Hicks. Aber für den Wissenschaftler von der Universität Warschau und dem Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie ist er viel mehr als das: ein Werkzeug, ein Kulturgut, ein Beleg für das komplexe Verhalten von Schimpansen, den nächsten Verwandten des Menschen im Tierreich. Denn mit solchen Stöcken jagen die Schimpansen im Norden der Demokratischen Republik Kongo, die selbst kaum mehr als 90 Zentimeter groß sind, gefährliche Treiber-Ameisen. Sie sind Teil eines ganzen Arsenals von Werkzeugen und Techniken, die diese Affen dort auf einzigartige Weise, eine bislang unbekannte, eigene „Kultur“ pflegend, verwenden. So beschreiben es Hicks und seine Kollegen nach jahrelangen Beobachtungen im Fachblatt „Folia Primatologica“. Eine Entdeckung, die Frühmenschenforschern wichtige Hinweise auf das Entstehen der menschlichen Kultur geben könnte.

Mal Steine, mal Stöcke – Schimpansenpopulationen haben ihre eigenen Techniktraditionen

Schimpansen-Kulturen kennen Verhaltensforscher schon länger: Im Westen Afrikas hämmern die Tiere mit Steinen oder hartem Holz auf Nüsse, um an deren nahrhafte Kerne heranzukommen. In anderen Regionen des Kontinents scheinen die Schimpansen dieses Verhalten dagegen nicht zu kennen, obwohl es dort sowohl reichlich Nüsse als auch Steine gibt. Im Norden des Kongo aber hatte bisher niemand die dort lebende Schimpansen-Unterart Pan troglodytes schweinfurthii und deren Verhalten untersucht. Das haben Cleve Hicks und seine Kollegen in einem zwölfjährigen Forschungsprojekt seit 2004 nachgeholt.

Besonders aufgefallen ist den Forschern das große Repertoire an Werkzeugen, mit denen die Schimpansen Leckerbissen in Form verschiedener Insekten und deren Produkte aufstöbern. So sammeln die Menschenaffen mit den extrem langen Stöcken aus sicherer Entfernung Treiber-Ameisen, die alles aggressiv attackieren, was ihnen zu nahe kommt. Erheblich kürzere Stöcke verwenden sie dagegen auf der Jagd nach den weniger gefährlichen Ponerinae-Ur-Ameisen. Um mit Dorylus kohli eine weitere Treiber-Ameisenart zu erwischen, nehmen sie dagegen ebenfalls kurze, aber sehr dünne Stöcke.

Bienennester ausgraben

„Mit recht kurzen Ästen durchstoßen die Schimpansen den Verschluss von Bienen-Nestern in Baumlöchern und schlecken hinterher den Honig von der Spitze ihres Stockes ab“, beschreibt Hicks das Verhalten der Schimpansen. Als fünftes Werkzeug nutzen die Tiere kurze, aber massive Stöcke, mit denen sie Bienennester samt dem nahrhaften Honig aus dem Untergrund holen. „Dieses Verhalten ist für Frühmenschenforscher sehr interessant, weil unsere frühen Vorfahren mit solchen Werkzeugen einst Knollen und andere nahrhafte Dinge ausgegraben haben“, meint Hicks. Frühmenschen verwendeten dazu vermutlich genau wie die Schimpansen heute Grabstöcke aus Holz. Fossilien, die das belegen würden, hat man zwar nicht gefunden, da vom Holz nach Millionen von Jahren kaum noch etwas übrig ist. Die Schimpansen im Norden des Kongo bieten daher aber eine einzigartige Gelegenheit, die Überlebensstrategien von Frühmenschen zu untersuchen. Im Norden des Kongo leben einer Untersuchung von Hicks zufolge rund hunderttausend Schimpansen in der Savanne und in Waldinseln nördlich des Uélé-Flusses sowie südlich davon im Regenwald – weitgehend unberührt.

Beute machen die Menschenaffen aber nicht nur mit Hilfe von Stöcken. Schimpansen im Gombe-Nationalpark in Tansania angeln mit Grashalmen Termiten aus ihren Hügeln. Natürlich könnten die Tiere die harten Nester dieser Insekten auch mit Keulen aufhämmern, mit denen nicht nur Schimpansen im Westen Afrikas Nüsse öffnen, sondern auch Frühmenschen in den ersten Phasen der Entwicklung der Menschheit hantierten. Im Norden des Kongo aber hat Cleve Hicks zuverlässige Indizien für eine völlig andere Strategie gefunden: Dort tragen Schimpansen das Termitennest einige Meter weit und aufgerichtet auf die Hinterbeine, um es an einer geeigneten Baumwurzel zu zerschmettern.

Diese Methode haben Verhaltensforscher bisher bei Schimpansen in anderen Regionen noch nie nachweisen können. Und noch eine Eigenart haben die Schimpansen im Kongo – und nirgends sonst – entwickelt und tradiert: „Die Häuser von handtellergroßen Schnecken oder von Schildkröten zertrümmern die Schimpansen offensichtlich ebenfalls an harten Baumstämmen und kommen so an eine Beute, vor denen andere Tiere kapitulieren müssen“, sagt Cleve Hicks.

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