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Aus der deutschen Provinz in den Syrien-Krieg

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2013 zog eine Gruppe junger Männer aus der kleinen Gemeinde Dinslaken-Lohberg im Ruhrgebiet in den Syrien-Krieg, um für den IS zu kämpfen. Welche Spuren hat das hinterlassen? Ein Ortsbesuch von Esther Felden.

Das Misstrauen sitzt tief. Die wenigen Menschen, die trotz des schlechten Wetters an diesem Abend draußen sind, verfolgen das langsam fahrende Auto mit ihren Blicken. “Das ist normal hier in Lohberg”, erklärt Fahrer Önay Duranöz: “Jeder, der hier durchkommt, wird argwöhnisch beäugt. Besonders, wenn es ein Fremder ist.”

Omar Chengafe auf dem Rücksitz nickt. Lohberg sei eine zurückgezogene, für Außenstehende oft nur schwer durchdringbare Welt. Und das hat viel mit dem zu tun, was vor ein paar Jahren in der 6000-Einwohner-Gemeinde am Stadtrand von Dinslaken passiert ist. Dinslaken liegt im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW). Die Stadt ist Teil des Ruhrgebiets und hat insgesamt rund 70.000 Einwohner.

Die Einwohnerzahl klingt eher nach Kleinstadt-Idylle, doch der Name Dinslaken-Lohberg erlangte 2013 plötzlich über die Grenzen Deutschlands hinaus Bekanntheit: als salafistischer Brennpunkt. Als Nährboden für den militanten Extremismus.

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Aus der ehemaligen Bergarbeitersiedlung zogen damals in mehreren Schüben nach Angaben des Landesverfassungsschutzes NRW mehr als zwanzig junge Männer als selbsternannte Gotteskrieger in den vermeintlichen Dschihad. Sie gaben sich selbst den Namen “Lohberger Brigade” und kämpften in Syrien und im Irak für die Al-Nusra-Front und später den Islamischen Staat. Die Ausgereisten waren deutsche Konvertiten, aber vor allem Söhne aus Einwandererfamilien.

Fast die Hälfte der Lohberger Bevölkerung hat ausländische Wurzeln. Die meisten Familien stammen aus der Türkei. Die ersten kamen schon in den 1950er Jahren, um sich hier als Gastarbeiter im Bergbau eine bessere Existenz aufzubauen.

Zwei Blickwinkel auf ein dunkles Kapitel

Nach der auffälligen Ausreisewelle in den Nahen Osten tauchten scharenweise Journalisten in Dinslaken-Lohberg auf, getrieben von der Frage, wie so etwas ausgerechnet in der westdeutschen Provinz geschehen konnte. Önay Duranöz und Omar Chengafe erinnern sich noch sehr gut an diese Zeit. Sie wurden aus unterschiedlicher Perspektive Zeugen der Entwicklungen.

Omar Chengafe ist heute Anfang 20 und studiert Sozialpädagogik in Dortmund. Der modisch gekleidete junge Mann mit dem kurzen Bart ist im Zentrum von Dinslaken aufgewachsen. Aber er hat viele Freunde in Lohberg. Der Sohn marokkanischer Eltern stammt aus einer gläubigen muslimischen Familie. Sein Vater war lange im Vorstand der Arrahma-Moschee in der Dinslakener Innenstadt.

Omar Chengafe kannte die Mitglieder der Lohberger Brigade

Duranöz auf der anderen Seite hat türkische Wurzeln. Er ist Ende 30, ein großer Mann, der eine Mischung aus Ruhe und rauer Herzlichkeit ausstrahlt. Der Sozialarbeiter kam 2011 als “Fremdkörper” nach Lohberg, so sagt er selbst. Dabei er ist er gerade einmal rund 20 Kilometer entfernt in der Ruhrgebiets-Metropole Duisburg aufgewachsen.

In den acht Jahren, die er in Lohberg arbeitete, wurde er für viele Familien zu einem wichtigen Ansprechpartner. Als Angestellter des Deutschen Kinderschutzbundes übernahm er 2013 den neu installierten Posten eines Jugendquartier-Managers. Seine wichtigste Aufgabe: die Jugendlichen in Lohberg beim Übergang von der Schule ins Berufsleben zu unterstützen.

Radikalisiert – mitten in Dinslaken

Wir sind mit dem Auto im Herzen von Lohberg angekommen. Duranöz fährt vorbei am zentralen Johannesplatz. Dann biegen wir um die Ecke und halten vor dem sogenannten Ledigenheim. Dort wohnten früher unverheiratete Bergleute, heute beherbergt der Backsteinbau unter anderem ein Kulturzentrum und mehrere Vereine. Beide Orte spielten eine zentrale Rolle in der Geschichte der “Lohberger Brigade”.

Auf dem Johannesplatz trafen sich damals täglich die Jugendlichen des Stadtteils, um gemeinsam gegen die Langeweile abzuhängen, erzählt Duranöz. Keiner von ihnen habe eine Beschäftigung gehabt. Als im Jahr 2005 die örtliche Zeche dichtmachte und auf einen Schlag mehrere tausend Arbeitsplätze wegfielen, verschwanden auch Zukunftsperspektiven.

Önay Duranöz wurde vom “Fremdkörper” zur Vertrauensperson für viele Lohberger

Etwa jeder vierte junge Lohberger war arbeitslos, als Mustafa T. regelmäßig auf dem Johannesplatz auftauchte. Der Mann, dem es gelang, in Lohberg innerhalb von wenigen Monaten eine extremistische Zelle aufzubauen.

Önay Duranöz erinnert sich an seine einzige direkte Begegnung mit ihm: “Er saß da, und bei ihm standen ein paar Jugendliche, die ich kannte.” Er sei mitten im Gespräch dazu gestoßen und habe mitbekommen, wie T. die Jugendlichen ermahnte, respektvoll miteinander umzugehen und höflich zu Älteren zu sein: “Er sagte beispielsweise, dass sie alten Frauen die Einkaufstüten vom Supermarkt nach Hause tragen sollten.” Sein erster Eindruck sei damals positiv gewesen, gibt er zu: “Ich habe gedacht: Wow, da ist ein junger Mann, auf den die Jugendlichen hören und der tolle Sachen sagt.”

T. stammt aus einer in Lohberg angesehenen türkischen Familie, der Vater war Mitglied im Vorstand der örtlichen Ditib-Moschee. Ein guter Umgang für die Kinder, dachten viele Erwachsene. Im Sommer 2011 gründete Mustafa T. mit städtischer Genehmigung einen “Bildungsverein” und mietete dafür Räumlichkeiten im nahe gelegenen Ledigenheim. Dort traf er sich dann mit seiner wachsenden Anhängerschaft.

Markt auf dem Johannesplatz in Dinslaken-Lohberg

Um die 30 junge Männer umfasste die Gruppe insgesamt, gibt der NRW-Verfassungsschutz auf Nachfrage der Deutschen Welle an. Bei den Treffen sei es um Themen wie die Ausgrenzung von Muslimen innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft und die wachsende Islamfeindlichkeit gegangen, schildern Önay Duranöz und Omar Chengafe, während wir durch die Straßen von Lohberg spazieren.

Nur scheinbare Idylle

In der ehemaligen Zechensiedlung reihen sich schmucke, kleine Häuser mit Vorgärten aneinander. Die Straßennamen erinnern an frühere Zeiten, als die Zeche Lohberg noch in Betrieb war: Man geht durch die Zechenstraße, die Schachtstraße oder den Steigerweg. Im Steigerweg steht das Ledigenheim, wo Mustafa T. seinen Vereinsraum gemietet hatte.

Omar Chengafe war in der Anfangszeit selbst bei den Treffen der Gruppe dabei. Er fand es zunächst positiv, dass es da auf einmal ein neues Freizeit-Angebot für junge Muslime gab: “Das waren halt Jungs, die weg von der Straße wollten. Sie haben nach einem Sinn gesucht und sich dann der Religion hingegeben.” Bald aber ging er nicht mehr in den “Bildungsverein”, weil er ein mulmiges Gefühl hatte: “Die Anzeichen, dass das wirklich in eine sehr falsche Richtung geht, wurden immer deutlicher.”

Sein liberales Elternhaus habe ihn vor Mustafa T. geschützt, davon ist Omar überzeugt. Andere Jugendliche seien dagegen leichte Beute gewesen: “Sie passten ins Schema, waren perspektivlos und anfällig für Hass. Der wurde gezielt geschürt.”

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