Wissen und Technik

Die Laute, die mit der Suppe kamen

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Warum fehlen in der Sprache ursprünglich lebender Menschengruppen manche Laute? Die Antwort ins wahrscheinlich nicht kommunikativ, sondern kulinarisch.

“You are, what you eat”, heißt ein Spruch im Englischen. Auch Ludwig Feuerbach schrieb einst: “Der Mensch ist, was er isst”. Heute gerne in dem Sinne benutzt, dass gesunde Ernährung angeblich auch gesund macht, und andersherum als ungesund geltende eben ungesund ist, ist der Ursprung dieser Weisheit wahrscheinlich eher in einem breiteren philosophischen und sozioökonomischen Kontext zu finden. Dazu gehört wahrscheinlich auch, dass die herrschenden Klassen sich einst dem Pöbel auch deswegen überlegen fühlten, weil sie Edleres als jene auf dem Tisch hatten. Dass das, was Menschen essen, sie auch physiologisch definiert, ist auch nicht neu. Nachdem sie zu kochen begonnen hatten und ihre Mahlzeiten damit weicher wurden, veränderte sich auch ihr Gebiss. Auch das große menschliche Gehirn soll mit der aufgrund des Kochens besseren Verfügbarkeit von Nährstoffen in Zusammenhang stehen. Dass solche Veränderungen aber auch großen Einfluss auf die menschliche Sprache gehabt haben könnten, war bislang reine Spekulation. Nun legen Forscher im Wissenschaftsmagazin “Science” konkrete Argumente dafür vor.

Vom Zahn zum Laut

Laute wie das «f» oder «v» in unserer Sprache haben Menschen demnach den Veränderungen ihrer Essgewohnheiten zu verdanken: Als die Menschen vor einigen Jahrtausenden begannen, ihre Nahrung zunehmend zu kochen oder anderweitig zu verarbeiten, veränderte sich ihre Zahnstellung. Dadurch ließen sich bestimmte Laute leichter bilden, die dann Einzug fanden in viele unterschiedliche Sprachen der Welt.

Sprache sei die wesentliche Form der Kommunikation unter Menschen, schreibt das Team um Damian Blasi von der Universität Zürich und dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena in seinem Fachartikel. Die zentralen anatomischen Voraussetzungen für ihre Bildung hätten schon vor einer halben Million Jahren existiert. Heute zeichne sich die menschliche Sprache durch eine verblüffende Vielfalt von Tausenden unterschiedlichen Lauten in derzeit etwa 7000 gesprochenen Sprachen weltweit aus. Dazu gehörten weit verbreitete Laute wie «m» oder «a», aber auch seltene Schnalz- und Klicklaute in einigen Sprachen des südlichen Afrika.

Die Unterlippe und das “f”

Lange Zeit nahmen Experten an, dass sich die vorhandenen Laute seit der Entwicklung von Homo sapiens vor etwa 300.000 Jahren nicht wesentlich verändert hätten. 1985 vermutete der Sprachforscher Charles Hockett erstmals, dass dies womöglich nicht stimmt. Er hatte festgestellt, dass in ursprünglichen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften Laute wie «f» oder «v» weitgehend fehlen. Solche Laute werden Labiodentale oder Lippenzahnlaute genannt, weil an ihrer Bildung Lippen und Zähne beteiligt sind. Beim «f» etwa berühren die oberen Schneidezähne leicht die Unterlippe.

Hockett führte das Fehlen der Laute darauf zurück, dass die Jäger und Sammler vorrangig harte, unverarbeitete Nahrung kauten. Die daraus resultierende Abnutzung der Zähne habe zur Folge, dass im Erwachsenenalter die Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers aufeinanderstoßen. Bei Menschen, die mehr weiche Nahrung verzehren, nutzen sich die Zähne weniger stark ab. Daraus resultiert eine Gebissform, bei der die oberen Schneidezähne auch bei Erwachsenen leicht über die unteren hinausragen, also eine Art Überbiss.

Hocketts Theorie wurde seinerzeit verworfen, weil schlüssige Beweise dafür fehlten. Blasi und seine Mitarbeiter prüften die Hypothese nun erneut und umfassend. Die größte Schwierigkeit dabei habe darin gelegen, dass sich sprachliches Verhalten nicht einfach aus Fossilien herauslesen lasse, erläutert Blasi. Außerdem sei es schwierig, den Biss eines Menschen, der vor Jahrhunderten lebte, mit der Sprache in einer Gruppe in Verbindung zu setzen.

Energieaufwand beim Sprechen

Die Forscher gingen nun wie folgt vor: Sie untersuchten mit einem biomechanischen Modell, inwieweit die unterschiedliche Gebissstellung die Bildung von Lauten ermöglicht – oder eben erschwert. Sie zeigten, dass der muskuläre Aufwand zur Bildung von Lippenzahnlauten um knapp ein Drittel (29 Prozent) geringer ist, wenn die oberen Schneidezähne leicht überstehen.

Zudem prüften die Forscher, wie häufig Labiodentale in unterschiedlichen Sprachen vorkommen und welche Nahrung in den entsprechenden Regionen bevorzugt verzehrt wird. Sie fanden, dass in Populationen, in denen bereits seit langem Nahrung verarbeitet und weich verzehrt wird, diese Laute mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu finden sind. In den Sprachen von Jäger-und-Sammler-Gesellschaften tauchen hingegen deutlich weniger Labiodentale auf.

Beispiele für weiche Nahrung seien Getreidebreie, Suppen oder Eintöpfe, aber auch Molkereiprodukte wie Milch, Käse oder Joghurt, erläutert Steven Moran, ein weiterer Forscher der Universität Zürich. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung und Verbreitung von Tonwaren zur Aufbewahrung der Produkte.

Schließlich untersuchten die Forscher mit Hilfe von statistischen Methoden die Ausbreitung der Laute im Detail in der indogermanischen Sprachfamilie. Sie ist die sprecherreichste Sprachgruppe, zu der etwa die germanischen, die romanischen, keltischen oder slawischen Sprachen gehören. Die Sprachfamilie sei vergleichsweise gut untersucht, es gebe teils 2500 Jahre zurückreichende Aufzeichnungen dazu, wie bestimmte Laute gesprochen wurden.

Auch diese Analyse ergab eine gute zeitliche Übereinstimmung zwischen der Verbreitung von verarbeiteter Nahrung und der Zunahme an Lippenzahnlauten in den untersuchten Gesellschaften. Das passierte demnach nicht lange vor Beginn der Bronzezeit vor etwa 2200 Jahren. (rif/dpa)

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