Wissen und Technik

Exzellenz vor dem Heizlüfter

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Wie ein Freiburger Forscher sich mitten im Elitewettbewerb mit der Uni-Leitung anlegt.

„Die Wahrheit wird euch frei machen“. Diesen Spruch, der über der Aula der Uni Freiburg prangt, findet der Biologe Günter Roth gut…

Ist Günter Roth ein Nestbeschmutzer? Oder ist er ein Wissenschaftler, der getan hat, was andere im ganzen Land auch gerne tun würden, wenn sie sich denn nur trauen würden – ist er also ein Uni-Held?

Roths Universität Freiburg bewirbt sich um den Exzellenzstatus. Aus dem Fenster seines Gebäudes auf dem Campus konnte der Systembiologe vor wenigen Wochen beobachten, wie die Universität sich auf den Besuch der Gutachter vorbereitete: „Plötzlich wurden die seit Jahren schon trüben Scheiben im Erdgeschoss ausgetauscht“, berichtet Roth. „Der Boden des Erdgeschosses wurde neu versiegelt und glänzend geschrubbert, die Abzüge gereinigt, und man hatte sogar die Weitsicht, auf den bisher unansehnlichen Erd-Parkplätzen Platten verlegen zu lassen.“ „Schöne Pfosten“ in Rot und Weiß seien montiert worden. Bestimmt kein Zufall: „Der Wahn, die Exzellenz nach Freiburg bekommen zu müssen, hat in den vergangenen Wochen ihre volle skurrile Pracht entfaltet“, meint Roth.

Denn dort, wo die Gutachter nicht im Vorbeilaufen hingucken konnten, bei Roth und seinen Mitarbeitern im Zimmer, „zieht es zum Fenster rein, die Doktoranden sitzen teils mit Heizlüfter am PC, ich mit Oma-Decke“, sagt Roth. Im Sommer ist es auch schlecht. Da das Gebäude an der Südseite keine Jalousien hat und die Uni-Zentrale vier Jahre lang auf den Wunsch danach nicht reagiert habe, hätten die Forscher schließlich von ihrem eigenen Geld welche bei Aldi gekauft und sie „illegal“ angebracht.

Kurz vor Weihnachten spitzten sich die Dinge zu

Das ist aber nicht der Grund dafür, warum Roth schließlich meinte, handeln zu müssen. Auch nicht das immer zu knappe Druckerpapier, das Roths Arbeitsgruppe schließlich von privatem Geld gekauft habe. Oder dass sein Zentrum lange um seinen Anteil an den Overheads habe kämpfen müssen. Oder dass die Forschungsgeräte seit einigen Jahren kaputt sind, aber erst kürzlich die Erneuerung zugesagt worden sei – vielleicht, weil Roth damit gedroht hatte, sie für die Begehung der Exzellenz-Gutachter mit einem großen „KAPUTT“-Schild vor die Labore zu stellen, wie er meint. Seit Langem sieht Roth das einst von der Landesstiftung Baden-Württemberg angeschobene Zentrum für Biosystemanalyse (ZBSA), in dem er als Gruppenleiter forscht, von der Uni-Leitung im Stich gelassen. Unklarer sei die Lage noch geworden, seit in das Gebäude der neu eingeworbene Exzellenzcluster CIBBS ziehen soll.

Es war kurz vor Weihnachten, dass sich die Dinge so weit zuspitzten, ja laut Roth eskalierten, dass er beschloss, aktiv zu werden. Gunther Neuhaus, Vizerektor der Uni, veranstaltete eine Informationsveranstaltung für Mitarbeiter des Zentrums. Dabei habe er nicht zuletzt auf die Bedeutung der Exzellenzinitiative für die Uni Freiburg hingewiesen, erzählt Roth. Ein unzufriedener Mitarbeiter habe daraufhin erklärt: „Wenn ich bei der Begehung von der DFG gefragt werde, dann sag ich denen die Wahrheit“. Gemeint war die Wahrheit über die Situation am ZBSA, die der Mitarbeiter so sieht, wie Roth sie beschreibt. Neuhaus habe sich daraufhin in die erste Reihe des Auditoriums gestellt und drohend zu dem Forscher (sinngemäß) gesagt: „Dann musst du auch die Konsequenzen tragen“, berichtet Roth. Weiter soll Neuhaus (sinngemäß) gesagt haben: „Wenn man nicht mit dem Kurs der Uni übereinstimmt, dann sollte man sich besser von ihr abwenden und gehen.“

Vizerektor Neuhaus verwahrt sich gegen Unterstellungen

Hat Neuhaus dem Forscher wirklich mit Konsequenzen gedroht, sollte er den Exzellenzgutachtern von seiner Sicht auf die Wirklichkeit berichten? Dazu lässt Neuhaus auf Anfrage durch einen Sprecher mitteilen, er „verwahre sich ausdrücklich gegen die angeblichen Zitate, Unterstellungen und persönlichen Angriffe vonseiten Dr. Roths“. Neuhaus lasse „derzeit die Möglichkeit prüfen, zivilrechtliche Schritte gegen Dr. Roth einzuleiten. Vor dem Hintergrund eines möglichen juristischen Verfahrens wird er sich nicht öffentlich äußern“. Außerdem lässt Neuhaus mitteilen, das ZBSA erhalte die uni-üblichen 30 Prozent der Overhead-Mittel für Projekte.

Für Roth war der angebliche Verlauf der Informationsveranstaltung jedoch der Grund, nicht länger zu schweigen und die für ihn immer sichtbarere Kluft zwischen dem schönen Eliteschein und der universitären Wirklichkeit öffentlich anzuprangern. Das tat Roth mit Absicht unmittelbar vor dem für die Uni Freiburg so wichtigen Besuch der Exzellenz-Gutachter.

Er verfasste eine Abrechnung mit der Exzellenzinitiative und den von ihm wahrgenommenen Zuständen an der Uni Freiburg: „Mit dringender Bitte, die Exzellenz nochmals zu überdenken, insbesondere weil davon auszugehen ist, dass Ihnen nicht alle Informationen bezüglich der Uni Freiburg zur Verfügung standen“, steht auf dem Cover. Am 18. März, zwei Tage vor der wichtigen Begehung durch die Gutachter, verschickte Roth das achtseitige Schreiben an die DFG und an mehrere Zeitungen, postete es auf Facebook und hängte es an die Tür des Uni-Rektorats – mit Tesa-Film, sodass anders als weiland bei Martin Luther keine heftigen Hammerschläge zu hören waren.

Roth hofft aber trotzdem auf viel Aufmerksamkeit für die von ihm geschilderten Missstände und darauf, dass nicht nur seine Uni-Leitung, sondern auch die Exzellenz-Gutachter, die DFG und die Politik ein Einsehen haben und den Exzellenzwettbewerb abblasen: „Ich würde mir von Herzen wünschen, dass die DFG alles stoppt“, sagt er. Dafür nimmt er in Kauf, dass seine Karriere beschädigt wird. Der Personaldezernent der Uni hat ihn bereits einbestellt.

An den Unis gehe die Angst vor einem Dreiklassensystem um

„Die Wahrheit wird euch frei machen“, zitiert Roth das an der Westfassade der Aula eingemeißelte Freiburger Universitätsmotto. Exzellenz und Wahrheit sind aber nicht vereinbar, meint Roth mit Blick auf die für die Gutachter aufgebauten Potemkin’schen Dörfer.

Überhaupt hält Roth die Exzellenzinitiative für höchst fragwürdig. An deutschen Universitäten gehe die Angst vor einem Dreiklassensystem um: „Wer jetzt nicht Spitzenklasse ist, darf wahrscheinlich über eine oder zwei Dekaden eben die Ersatzbank einnehmen.“

Hart ins Gericht geht er auch mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Sie hatte bei der Wettbewerbsentscheidung über die Cluster im September die Zahl der ausgewählten Projekte erhöht. Finanziert wird dies dadurch, dass alle Cluster etwa ein Viertel ihrer Mittel hergeben müssen: „Anstelle von 46 perfekt ausgestatteten Rennpferden schickt Ihr nun 57 dreibeinige Klepper ins internationale Rennen“, empört sich Roth. Zahlreiche Nachwuchsforscher würden jetzt, anders als versprochen, keine Jobs mehr in den klein gesparten Clustern bekommen. Denn die Professoren würden wohl kaum das Feld räumen, um ihnen Platz zu machen. Überhaupt würden von der Exzellenzinitiative oft nicht die besten, sondern die rücksichtslosesten Wissenschaftler am meisten profitieren, jene, die verstünden, sich besser zu positionieren. Auch kleine, aber gleichwohl exzellente Bereiche würden einfach „untergeackert“.

Unterdessen berichtet Roth, dass es an der Uni „kocht“. An seiner Aktion gebe es durchaus Kritik, aber auch sehr positive Rückmeldungen, auch von Wissenschaftlern, die mit der speziellen Lage des ZBSA gar nichts zu tun haben.

Das Direktorium stellt fest, Roth spreche nicht für das Zentrum

Auch das Direktorium des Zentrums nimmt Stellung. Es erklärt, „dass Dr. Roth weder im Namen des ZBSA-Direktoriums noch im Namen der Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter des ZBSA spricht“. Den Prozess der Überführung des ZBSA-Gebäudes in das geplante neue Zentrum werde „unter Einbindung aller betroffenen Gruppen“ gestaltet: „Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des ZBSA werden für die Dauer ihrer laufenden Projekte weiterhin räumlich adäquat untergebracht sein, und es wird ihnen die Möglichkeit geboten, sich im Rahmen neuer Drittmittelprojekte wissenschaftlich weiterzuentwickeln.“ Weiter heiß es: „Maßnahmen zur baulichen Instandhaltung werden an der Universität Freiburg kontinuierlich und bedarfsabhängig durchgeführt (…) Wie alle Räumlichkeiten der Universität werden auch die Räume des ZBSA bedarfsgerecht und im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben ausgestattet.“

Günter Roths befristeter Arbeitsvertrag an der Uni Freiburg läuft in wenigen Monaten aus. Wie es für den Vater zweier kleiner Kinder weitergeht, weiß er noch nicht genau. Fest steht für ihn aber, dass jede Uni sich fragen solle, ob sie den Gutachtern in der Exzellenzinitiative „die volle Wahrheit und nichts als die (ungeschönte Wahrheit) gezeigt hat“. Von der DFG wünscht er sich, dass sie eine spezielle Ombudsstelle einrichtet, an die Wissenschaftler (werdender) Exzellenzunis sich mit ungeschönten Eindrücken richten können – wenn die DFG den Wettbewerb schon nicht stoppen kann.

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