Wissen und Technik

Wiederholtes – und verbessertes – Erfolgsmodell Sperlingsvogel

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Einst war eine Gruppe Vögel sehr verbreitet. Sie starb aus. Ihre Nachfolger machten ihnen vieles nach – doch sie setzten eine entscheidende Innovation hinzu.

Spätzle a la Fossil. Einer der frühesten bekannten Körnerfresser ( Eofringillirostrum boudreauxi) lebte vor 50 Millionen Jahren.

Kurze, kegelförmige, spitze Schnäbel. Die Beißwerkzeuge erinnern an das eines Buchfinken, sollten also Körnerfressern gehört haben. Sie sind allerdings etwa 50 MillionenJahre alt und Vögel auf beiden Seiten des Atlantiks nutzten sie. Eine Gruppe Paläo-Ornithologen um Gerald Mayr vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main haben diese beiden neuen Arten kürzlich in der Zeitschrift „Current Biology“ beschrieben.

Körnerfresser, Allesfresser

Während Eofringillirostrum boudreauxi dort lebte, wo heute der Green River im US-Bundesstaat Wyoming nach Süden zum Colorado River fließt, suchte Eofringillirostrum parvulum seine Körner etwa zur gleichen Zeit dort, wo in der Grube Messel in der Nähe von Darmstadt bis 1971 Ölschiefer abgebaut wurde.

Beide „ haben den typischen Schnabel von Körnerfressern wie unsere heutigen Finken“, erklärt Mayr. Die Forscher haben also auf beiden Seiten des Atlantiks die mit Abstand ältesten bekannten Körnerfresser entdeckt. Finken, die ganz ähnliche Schnäbel haben, tauchten erst vor nicht einmal zehn Millionen Jahren auf.

Die beide Arten gehören zu einer ausgestorbenen Gruppe, die mit den Urahnen der Sperlingsvögel – der heute artenreichsten Ordnung innerhalb der Vögel – eng verwandt war. Genau wie die heutigen Sperlingsvögel scheinen auch sie schon vor 50 Millionen Jahren – also circa 100 Millionen Jahre nachdem Vögel überhaupt auf der Bildfläche der Evolution erschienen – in sehr unterschiedlichen Lebensräumen zuhause gewesen zu sein. Arten hatten sich auf eine Reihe von Nahrungsquellen spezialisiert. Neben jenen Körnerfressern gab es Spezies, die offensichtlich Nektar aus Blüten saugten. „Eine weitere Gruppe hatte damals lange und schmale Schnäbel ähnlich unseren heutigen Amseln und Staren“, sagt Mayr. Das deutet auf Allesfresser hin, die heute Beeren, Früchte, Würmer, Käfer, Schnecken, Tausendfüßer, Spinnen und Insekten samt ihrer Larven, aber auch kleine Wirbeltiere wie Eidechsen verzehren.

Zehen zählen

Die Vielfalt ist überraschend. Und alle bekannten Mitglieder dieser Gruppe hatten Merkmale, die den heutigen Sperlingsvögeln fehlen. Dazu gehören neben ein paar winzig kleinen Unterschieden im Skelett auch die Füße: „Heute haben alle Sperlingsvögel drei nach vorne und eine nach hinten gerichtete Zehe“, während bei den Ausgestorbenen je zwei Zehen nach vorne und hinten standen, erläutert Mayr. Die gesamte Vielfalt dieser mit zwei Hinterzehen und einer Reihe weiterer Spezialitäten versehenen Gruppe starb aus und wurde von den heutigen Sperlingsvögeln ersetzt. „Überlebt hat anscheinend nur eine einzige Gruppe, die in Australien und Neuseeland zuhause war und vor rund 30 Millionen Jahren zum ersten Mal im Rest der Welt auftauchte”, sagt Mayr.

Diese echten Sperlingsvögel entstanden vor rund 47 Millionen Jahren auf der Landmasse Australiens, berichten Carl Oliveros und Brant Faircloth von der Louisiana State University in Baton Rouge zusammen mit Kollegen diese Woche in der Zeitschrift PNAS. Die Forscher stützen sich dabei auf Analysen des Erbguts heute lebender Vögel und gleichen diese mit Fossilienfunden ohne Erbgutuntersuchungen ab. Demnach entwickelten sich die Sperlingsvögel zunächst in Australien und Neuseeland. Im Rest der Welt tauchten sie erst auf, als vor rund 30 Millionen Jahren mächtige Eispanzer die Antarktis bedeckten und der Welt für einige Jahrmillionen ein Eiszeitklima bescherten. Eine wichtige Rolle für die Verbreitung der Singvögel hat auch die weitgehende oder vollständige Überflutung Neuseelands vor rund 23 Millionen Jahren gespielt. Neben solchen geologischen und klimatischen Veränderungen dürften aber auch eine Reihe weiterer Faktoren bedeutsam für die Evolution der heute lebenden rund 6000 Sperlingsvögel-Arten gewesen sein, schließen Oliveros, Faircloth und ihre Kollegen aus ihren molekularbiologischen Untersuchungen.

Luftiges Eigenheim

Weshalb die vor 50 Millionen Jahren noch so erfolgreiche Gruppe verschwand, wissen Gerald Mayr und seine Kollegen bislang nicht. Möglicherweise spielten die beiden nach hinten gerichteten Zehen eine Rolle. Heute kommen sie nur noch bei einigen Vogelgruppen wie Papageien und Spechten vor. Diese brüten meist in Baumhöhlen – einer Ressource, die hart umkämpft ist. Mitinteressenten sind etwa Bienen, kleine Säugetiere und Schlangen. Die modernen Sperlingsvögel gehen dem mit Ausnahme der Meisen meist aus dem Weg, indem sie in Bäumen, Büschen oder unwegsamem Gelände ihre Nester bauen. Diese sind oft auch für Nesträuber nicht so einfach zu erreichen. Für die meist kleinen Sperlingsvögel mit ihren daher eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten könnte das ein wichtiger Vorteil – und Geheimnis ihres Erfolges bis heute – gewesen sein.

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