Wirtschaft

Zuckerrübenanbauer stecken „in größter Krise seit 1945“

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Brasilien und Indien fluten den Weltmarkt mit hoch subventioniertem Rohrzucker. Die heimischen Erzeuger fühlen sich von der Politik alleine gelassen. Ihre Resolution ist ein Hilferuf.

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WORMS/FRANKFURT – Seit 300 Jahren werden in der Region Zuckerrüben angebaut. Und bis zur Ernte – im Fachjargon Kampagne genannt – 2017/2018 war die Welt für die heimischen Erzeuger auch noch soweit in Ordnung. Die EU-weite Quotenregelung, wonach bis zu 85 Prozent des dort verwendeten Zuckers aus der EU stammen durften, sowie feste Mindestpreise sicherten ihnen auskömmliche Erträge und schützten sie vor billigen Importen aus dem Weltmarkt.

Doch damit ist es vorbei: Die EU schaffte im Rahmen der Zuckermarktreform sowohl Quoten als auch Mindestpreise ab – um Europa zu öffnen, für mehr Wettbewerb zu sorgen und bei den Zuckerpreisen den Abstand zum Weltmarkt zu verringern. Hört sich aus Sicht der Verbraucher gut an, läuft aber offenbar nicht so wie geplant und bringt die heimischen Erzeuger und Zuckerfabriken offenbar in arge Bedrängnis.

Verfall des Weltmarktpreises in kurzer Zeit

Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und sehen ihre Existenz gefährdet. So lässt es sich aus einer Resolution des Verbandes der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer, der Vereinigung der Zuckerrübenanbauer und des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd herauslesen. Es ist ein Hilferuf. Die Politik der EU habe mit Unterstützung der Bundesregierung den gesamten Sektor „in die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg geführt“, heißt es in der Resolution.

Das Hauptproblem: Massive Exportsubventionen und interne Preisstützungen in anderen Ländern der Welt hätten „zu einem Verfall des Weltmarktpreises in kurzer Zeit geführt“. Seit Mitte Oktober 2016 ist der Weltmarktpreis für Zucker von 23 US-Cent je amerikanischem Pfund (453,592 Gramm) auf 13 Cent und damit auf 56 Prozent gesunken. Die Verbände kritisieren zudem, dass selbst in einer Reihe von EU-Ländern der Anbau weiter kräftig subventioniert wird. Und zwar in Form fester Prämien an die Erzeugerbetriebe. Deutschland sei der einzige Mitgliedsstaat, der generell auf solche Zahlungen verzichte. Für die Verbände ein weiterer „entscheidender Wettbewerbsnachteil“.

Insgesamt prognostizieren sie bereits für das kommende Jahr eine europaweit zurückgehende Anbaufläche – Betriebsaufgaben inklusive. Was wiederum Konsequenzen für die Zuckerfabriken hat. Da die für eine wirtschaftliche Produktion erforderliche Auslastung der Zuckerfabriken nicht mehr gewährleistet werden könne, sei die Produktion auch in wettbewerbsstarken Regionen gefährdet, wird kritisiert. Also genau das Gegenteil, was die Macher der EU-Zuckermarktreform beabsichtigten. „Fabrikschließungen sind dann unvermeidbar“, heißt es in der Resolution weiter.

Eine der ältesten Zuckerfabriken Deutschlands steht in Offstein

Zu den Wettbewerbsstarken gehört auch die hiesige Region. In ihr steht eine der ältesten Zuckerfabriken Deutschlands – das 1884 gegründete Südzucker-Werk im rheinhessischen Offstein mit Hunderten Mitarbeitern und einer Jahresproduktion von bis zu 360.000 Tonnen Zucker. Hintergrund der befürchteten Werksschließungen ist das enge regionale Zusammenspiel zwischen Rübenanbau und Zuckerproduktion. Denn für die Anlieferung über weite Distanzen sind die Transportkosten einfach zu hoch. „Ohne Anbau keine Fabrik und ohne Fabrik kein Anbau“, bringt es Christian Lang, der Geschäftsführer des Verbandes der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer, auf den Punkt.

Den Vorwurf der weltweiten „Wettbewerbsverzerrungen“ hinterlegt der Verband mit Zahlen: Wie aus seinem jüngsten Geschäftsbericht hervorgeht, pumpt der größte Zuckerproduzent Brasilien jährlich 2,5 Milliarden US-Dollar an Subventionen in die heimische Erzeugung von Rohrzucker. In Indien (die Nummer zwei) und Thailand (hinter der EU die Nummer vier) gibt es hohe Mindestpreisgarantien für die eigenen Produzenten, der Rest wird zu Dumping-Preisen auf den Weltmarkt geworfen. Innerhalb der EU wiederum kümmern sich viele Staaten nicht um die Liberalisierung. Laut Geschäftsbericht gibt es gekoppelte Anbauprämien in Spanien, Italien, Polen, Finnland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Griechenland und Rumänien. Die Spanne reicht von 266 bis 630 Euro pro Hektar.

Politik habe sich in eine Beobachterrolle zurückgezogen

Die Verbände fordern nun die Verantwortlichen im Bund und bei der EU auf, „sich aktiv für den Erhalt des Zuckerrübenanbaus einzusetzen“ und „eine Zerstörung der Zuckerproduktion“ zu verhindern. Von der Bundesregierung verlangen die Verbände, „mit allen verfügbaren Mitteln eine Abschaffung“ nationaler Prämien in der EU durchzusetzen.

Bislang fühlt man sich in der Krise hängengelassen: Die Politik habe sich in eine Beobachterrolle zurückgezogen, obwohl sie für die aktuelle Situation verantwortlich sei. Oder wie es Lang ausdrückt: „Nicht die Schlechtesten verlieren in diesem Spiel, sondern die, die schlafen und ihre Bauern alleine lassen in diesem unfairen Kampf.“

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