Deutschland

Wenn in Angela Merkel die Physikerin erwacht

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Unbeeindruckt, ruhig und sachlich – gegenüber der AfD aber durchaus auch streitlustig – hat Angela Merkel ihre zweite Fragestunde im Bundestag absolviert. Antworten blieb sie nicht schuldig. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Diese Szene hat Seltenheitswert: Die Kanzlerin steht auf der Regierungsbank vor einem hochgezogenen Mikrofon und stellt sich den Fragen der Abgeordneten im Bundestag. Eine Stunde lang. Die Themen reichen vom G20-Gipfel über den Brexit, Handelskriege und Fahrverbote für Diesel bis zum Migrationspakt. 26 Fragen und 14 Nachfragen sind es an diesem 12. Dezember und damit insgesamt etwas mehr als bei der ersten Fragestunde vor einem halben Jahr.

Die Regeln sind die gleichen wie bei der Premiere: Eine Minute darf die Frage dauern, eine Minute aber auch nur die Antwort. Das hat für Merkel Vor- und Nachteile. “Bei einer Minute Antwortzeit ist es mir natürlich nur möglich, bestenfalls ein halbes Prozent dessen darzustellen, was wir in diesem Jahr gemacht haben”, sagt die Kanzlerin, als es darum geht, Fortschritte bei der EU-Reform aufzuzählen. Die limitierte Zeit kann aber auch hilfreich sein, wenn die Kanzlerin so genau vielleicht gar nicht Auskunft geben will.

Waffen sammeln für den Tag X

Beispielsweise als André Hahn von der Linkspartei von Merkel wissen will, ob es zutreffe, “dass sich in Deutschland, aber auch in Österreich und der Schweiz rechte Gruppen formiert haben, die daran arbeiten, einen eigenen Staat im Staat aufzubauen”. Gruppen, an denen auch Soldaten und Polizisten beteiligt seien und die sich auf den “Tag X in Deutschland” vorbereiten und dafür auch Waffen sammeln würden. “Sind Sie vom Verfassungsschutz darüber informiert worden und was wollen Sie dagegen unternehmen?”

Angela Merkel bei der Fragestunde im Bundestag

Merkel antwortet prompt, aber ausweichend. “Ich habe da volles Vertrauen in den Verfassungsschutz”, sagt sie und verweist darauf, dass “wann immer solche Erkenntnisse da sind, entschieden und massiv dagegen vorgegangen” werde. Dann schiebt sie noch nach: “Wir haben leider Entwicklungen, die uns beunruhigen müssen.”

Abgeordnete Mitglieder in rechten Netzwerken? 

Hahn will sich damit nicht zufrieden geben. “Ich habe Sie gefragt, ob Sie darüber informiert worden sind,” hakt er nach. Der Linkspolitiker verweist auf die sogenannten Reichsbürger, “die jahrelang verharmlost worden sind”, er spricht von rechten Netzwerken und Todeslisten und davon, dass auch Bundestagsabgeordnete Mitglied in rechten Netzwerken sein sollen. “Über Abgeordnete bin ich nicht informiert”, antwortet Merkel. Im Übrigen wisse jeder, dass die Bundesregierung und sie selbst “entschieden gegen solche Vorgänge vorgehen”. Punkt. Nächste Frage.

Die Fragen aus den Reihen der Regierungsfraktionen Union und SPD sind meist harmlos. Hier will niemand die Kanzlerin in die Bredouille bringen. “Wir fanden es gut, dass Sie nach Marokko gefahren sind”, lobt der CDU-Abgeordnete Mathias Middelberg Merkel im Zusammenhang mit dem UN-Migrationspakt. Zuvor hatte der AfD-Abgeordnete Martin Hebner die Kanzlerin angegriffen: “Sie haben durch die einseitige Annahme des Migrationspaktes Europa tief gespalten, Sie haben Deutschland isoliert, warum haben Sie das in Kauf genommen?”

Die Wahrheit hinter den Zahlen

Die Mehrheit der EU-Staaten sei gegen den Pakt, so Hebner. Da fällt ihm Merkel ins Wort. Das stimme nicht, man könne gerne gemeinsam durchzählen. “Da werden wir unterhalb von 14 landen”, so Merkel. Hebner will nicht aufgeben. “Wir sehen, wie nervös Sie sind, daran, dass Sie mich unterbrochen haben.” Raunen im Plenum, Merkel muss lachen. “Ich entschuldige mich natürlich für die Unterbrechung, ich wollte nur sagen, als Physikerin geht es mir bei den Zahlen nur um die Wahrheit”, sagt sie heiter.

Schlag auf Schlag geht es weiter. Mindestlöhne, Cyberangriffe, die OSZE-Mission im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. “Sie verkaufen Trippelschritte als die große Antwort”, kritisiert die Grüne Franziska Brantner die Kanzlerin. Merkel bleibt unbeeindruckt, auch bei Angriffen aus den Reihen der AfD. Ob Sie endlich einsehe, dass es gut sei, wenn sie weg sei, fragt einer der Rechtspopulisten. Sein Kollege Markus Frohnmaier leitet seine Wortmeldung damit ein, dass das Brexit-Abkommen zwischen der EU und Großbritannien darauf angelegt sei, “das britische Volk für seine demokratische Entscheidung zu bestrafen”.

“Wieso werden so wenige Flüchtlinge abgeschoben?”, fragt Bernd Baumann, AfD (li.)

Keine Nachverhandlungen beim Brexit

56 Sekunden lang zählt Frohnmaier Punkt für Punkt auf, was ihn stört. Schließlich folgt die eigentliche Frage an die Kanzlerin: “Das Abkommen schürt Hass und Zwietracht im britischen Volk, Frau Merkel, sieht so ein europäisches Friedensprojekt aus?” Die Kanzlerin hat dem AfD-Politiker ruhig zugehört. “Ihre Mischung aus Fakten und Wertungen teile ich nicht”, antwortet sie lapidar und verweist auf “die Sachverhalte”.

Das Abkommen sei ein sehr “fairer Ausgleich” zwischen den Interessen. Es werde in Brüssel ganz sicher nicht noch einmal aufgeschnürt. Gleichwohl gebe es eine “schwierige Konstruktion” durch die geografische Lage. “Deswegen haben wir solche Dinge wie einen Backstop zu berücksichtigen, um dann die Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland noch weiter zu diskutieren.” Mit einer Minute und 20 Sekunden hat die Antwort länger gedauert als erlaubt. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat die Kanzlerin aber gewähren lassen.

Waffenexporte nach Saudi-Arabien

Bei den Fragenden greift er hingegen mehrfach ein. Vor allem, wenn die erlaubte Nachfrage länger als 30 Sekunden dauert. Rund die Hälfte der Fragenden nutzt die Gelegenheit, um nachzuhaken. Auch die Linkspolitikerin Heike Hänsel, die wissen will, warum deutsche Rüstungskonzerne ihre Waffen über ausländische Tochterfirmen trotz des Exportstopps weiter nach Saudi-Arabien liefern können. Als die Kanzlerin ausweichend von rechtlichen Grenzen spricht, verweist Hänsel auf eine Gesetzeslücke, die das ermögliche und leicht zu schließen sei. Mit Erfolg. “Ich werde ihre Frage dazu benutzten, mich mit der Gesetzeslücke zu beschäftigen”, verspricht Angela Merkel.

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