Wirtschaft

VW-Rückruf: „Arglistige Täuschung“ oder nur ein Versehen?

0

Der VW-Konzern will tausende Autos, die mit nicht freigegebenen Bauteilen in den Vertrieb kamen, wieder zurückkaufen. Betroffene Halter fühlen sich überrumpelt und sind ratlos.

Jetzt teilen:

WOLFSBURG/FLENSBURG – Peter Müller (Name von der Redaktion geändert) versteht die Welt nicht mehr. Oder besser die VW-Welt. Vor knapp sieben Jahren hatte er sich einen Passat-Jahreswagen gekauft, Vorbesitzer war VW selbst. Ein Schnäppchen. Das Auto hat bislang gute Dienste geleistet. Ende November bekam Müller dann ein Schreiben von VW, in dem ihm der Konzern mitteilt, dass man den Wagen „zurückkaufen möchte“.

Der Grund: Anhand der vorhandenen Fahrzeugdokumentation könne man „nicht zweifelsfrei nachvollziehen“, ob an dem Fahrzeug „Einschränkungen einzelner Systeme vorliegen könnten“, heißt es in dem Brief. Aus diesem Grund würden solche Autos zurückgerufen.

Rückerstattung: Nur Restbetrag

Der Rückruf besteht aus dem Rückkauf. Ein Hinweis auf Alternativen wie etwa eine Reparatur finden sich in dem Schreiben ebenso wenig wie Details zu den betroffenen Bauteilen. Müller ist ratlos: „Was soll ich jetzt machen?“

Denn das Angebot will er nicht annehmen, schließlich bekomme er nur den Restwert des Fahrzeuges, und zusätzliche Mittel für einen Neukauf seien in seiner Budgetplanung nicht vorgesehen. „Aber so einfach weiterfahren kann ich doch auch nicht. Vielleicht kann es ja gefährlich werden …“.

Tausende sind betroffen

Wie Müller geht es tausenden VW-Fahrern. Die einschlägigen Kfz-Onlineportale sind voll davon. Der Autobauer brachte nach eigenen Angaben von 2006 bis 2018 aus seinem Bestand rund 6.700 vornehmlich Vorserienfahrzeugen, die in der Regel zu Testzwecken genutzt wurden, in den Verkauf.

Obwohl die betreffenden Autos „möglicherweise mit noch nicht freigegebenen Prototypenteilen“ oder Komponenten um- beziehungsweise ausgerüstet worden waren, wie der Konzern einräumt. Nahezu alle Modelle der Marke VW sind betroffen, in Deutschland rund 5.500 Pkw.

Bundesverkehrsministerium: Der Verkauf war unzulässig

Das hat das Bundesverkehrsministerium auf den Plan gerufen, das den Verkauf der Autos als „unzulässig“ bezeichnet. Auch das Kraftfahrtbundesamt ist aktiv geworden: Es hat nach eigenen Angaben die Überwachung des Rückrufs angeordnet, „um potenzielle Risiken auszuschließen“. VW beschwichtigt: Die Fahrzeuge könnten bis zur „Reparatur“ weiterhin genutzt werden. „Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eventuell auch Einschränkungen an den Sicherheitssystemen auftreten können“, heißt es in dem Schreiben an Müller.

Auch wenn nur vergleichsweise wenige Autos betroffen sind, haben die Vorgänge das Zeug für einen neuerlichen VW-Skandal. Nach Ansicht des Fachanwalts Christian Genzow von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner hat der Fall möglicherweise rechtliche Konsequenzen für VW.

Bei einem Verkauf müsse in jedem Fall ausdrücklich offengelegt werden, dass es sich um ein Vorserienmodell handele. Denn der Verbraucher gehe dann davon aus, „dass es sich noch um ein Versuchsfahrzeug handelt und es daher spätestens beim Weiterverkauf einen Minderwert hat“, sagte der Spezialist für Vertriebsrecht dem Handelsblatt. „Nein, davon hatte ich keine Kenntnis“, entgegnet Peter Müller.

Experte: “Erhebliche Gefahren” für die Betriebserlaubnis

Genzow weiter: Sollte auf die Vorserie nicht hingewiesen worden sein, beinhalte der Verkauf der betreffenden Fahrzeuge „bereits eine betrügerische Absicht, weil ein Minderwert aufgrund der Vorserie nicht ausgeschlossen werden kann“. Sei das Auto zudem nicht ordnungsgemäß zugelassen, „kann an der Betrugsabsicht nicht der mindeste Zweifel bestehen“. Da es sich dann um eine „arglistige Täuschung“ handele, bestehe Anspruch auf Rückgabe des Fahrzeugs gegen Zahlung des gezahlten Betrages.

Das sieht auch der Wiesbadener Fachanwalt Julius Cäsar-Preller so. Er weist darüber hinaus auf „erhebliche Gefahren“ für die Betriebserlaubnis der Fahrzeuge hin. „Hier sind ja Veränderungen an den Fahrzeugen fehlerhaft dokumentiert worden. Und in einem solchen Fall kann die Betriebserlaubnis erlöschen“, erläutert Cäsar-Preller. Das Kraftfahrtbundesamt äußert sich bislang nicht dazu.

Wie sollten die Halter nun weiter vorgehen? Nach Darstellung des ADAC besteht keine Pflicht, das Rückkaufangebot von VW anzunehmen. Betroffene sollten gegenüber dem Unternehmen vielmehr darstellen, „dass sie zunächst nur mit einer Prüfung des Fahrzeugs und einer Mängelbeseitigung – heißt: einem Austausch der betroffenen Ersatzteile – einverstanden sind“.

Was passiert mit dem Versicherungsschutz?

Liegt der Verkauf allerdings zwei Jahre und weniger zurück, könnten Halter sogenannte „Sachmängelhaftungsansprüche“ geltend machen. Ein solcher Sachmangel dürfte „beim Einbau ungeprüfter Teile eindeutig gegeben sein“, so der Club weiter. Die Eigentümer „sollten sich mit den Schreiben an ihre Verkäufer wenden und eine Beseitigung des Mangels fordern“. Werde dies verweigert, „kann das zu einem Rücktrittsrecht führen“, erklärt der ADAC.

Sind die betreffenden Fahrzeuge nach den nun vorliegenden Erkenntnissen schließlich in einen Unfall verwickelt, brauchen sich die Halter um ihren Versicherungsschutz keine Sorgen zu machen – meint man beim Versicherer R+V. „Solange das Auto ordnungsgemäß zugelassen ist und der Kunde nicht vorsätzlich selbst ein falsches Bauteil in sein Fahrzeug einbaut, hat er im Schadenfall keine Nachteile. Wir zahlen den Schaden und nehmen im Zweifelsfall Regress beim Hersteller“, sagt Unternehmenssprecherin Brigitte Römstedt.

Dax fällt auf Zweijahrestief

Previous article

Der „Berufsbachelor“ stiftet Verwirrung

Next article

You may also like

Comments

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

More in Wirtschaft