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Steigen nach dem Kohleausstieg die Strompreise?

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Das Aus für die Kohle und die Folgen: Der Darmstädter Professor Ingo Jeromin über die Kosten, die Versorgungssicherheit und was auf die Verbraucher zukommt.

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DARMSTADT – Der Kohleausstieg hat dramatische Folgen, sagt Ingo Jeromin, Professor aus Darmstadt – jedenfalls für die klassische Betrachtung der Stromversorgung. Denn diese wandelt sich grundlegend, was eine Prognose über die Kosten des Ausstiegs so erschwere.

Herr Professor Jeromin, Kohle ist in der Region direkt kein Wirtschaftsfaktor. Außer es geht im übertragenen Sinn ums Geld. Was kostet denn die Verbraucher der Ausstieg aus der Kohleverstromung?

Der Strompreis für Haushaltskunden setzt sich aus einer Vielzahl von Komponenten zusammen. Dabei gelten neben dem Preis für Beschaffung – Strompreis ab Kraftwerk – und Vertrieb als Haupttreiber die Netzentgelte, die EEG-Umlage, die Konzessionsabgabe, die Stromsteuer und über allem noch die Mehrwertsteuer. Der Anteil für Beschaffung und Vertrieb liegt dabei zurzeit bei etwa 20 Prozent. Das heißt, dass wir neben dem Beschaffungspreis auch die Entwicklung der anderen Preiskomponenten betrachten müssen, um eine valide Aussage zu treffen – dies verhält sich ähnlich wie an der Tankstelle.

Heißt konkret?

Der eigentliche Marktpreis wird im Wesentlichen durch die Merit-Order, das heißt durch die kurzfristigen Grenzkosten der Stromproduktion der zuletzt genutzten Kraftwerke bestimmt (Grenzkosten sind diejenigen Kosten, die durch die Produktion einer zusätzlichen Mengeneinheit entstehen, die Red.). Mit dem Wegfall der Kernkraft- und Kohlekraftwerke, die zurzeit häufig preissetzend sind, verlassen Kraftwerke mit niedrigen Grenzkosten und sehr geringer Volatilität den Strommarkt. Das bedeutet, die Gaskraftwerke werden zukünftig die preissetzenden Kraftwerke mit einem höheren Preis werden. Wir können jedoch beobachten, dass durch die Verteuerung der CO2-Preise der Strom aus Kohlekraftwerken immer näher an die Preise für Strom aus Gaskraftwerken heranrückt und somit alleine dadurch eine Preissteigerung hervorgerufen wird.

ZUR PERSON

Prof. Dr.-Ing. Ingo Jeromin (40) lehrt seit 2016 an der Hochschule Darmstadt im Fachgebiet „Elektrische Energieversorgung, Erneuerbare Energien und Energieeffizienz“. Zuvor war er Referent im Hessischen Wirtschaftsministerium und beim Frankfurter Versorger Mainova tätig. Er hat an der TU Darmstadt promoviert.

Gehen die Lichter tatsächlich aus?

Erst keine Atomkraftwerke mehr, dann sollen die Kohlemeiler vom Netz gehen. Gerade Wirtschaftsverbände sehen durch die Pläne der Bundesregierung die Versorgungssicherheit in Deutschland gefährdet. Schließlich scheine nicht immer die Sonne, wehe nicht immer der Wind.

Kann es bald Blackouts geben? Einschlägige Untersuchungen sagen Nein. Die Versorgung bleibe sicher, heißt es in einer Stellungnahme, die Experten des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesnetzagentur 2017 auf Basis von Analysen des Beratungsunternehmens Consentec abgaben, für die Jahre bis 2023, wenn bereits ein Großteil der Meiler vom Netz gehen soll. Begründung: Zum einen sei Deutschland in den europäischen Strommarkt eingebunden, der noch über erhebliche Überkapazitäten verfüge. Darüber hinaus bleibe Deutschland Nettoexporteur von Strom und verfüge weiterhin über einen hohen Leistungsüberschuss.

Mit einem Kohleausstieg könne die Versorgungssicherheit sogar steigen. Bei starkem Wind „laufen Kohlekraftwerke im Wesentlichen für den Export und verschärfen die Engpässe im Netz“, so die Experten. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, will die Bundesregierung unter anderem neue Gaskraftwerke bauen lassen.

„Mir ist noch nicht klar, woher diese Gaskraftwerke mit den entsprechenden Kapazitäten kommen sollen. Ich sehe die Gefahr, dass auch dann wieder politischer Einfluss auf den Markt nötig sein wird, was auch wieder teuer werden dürfte“, sagte Prof. Dominik Möst, Energieexperte von der Technischen Universität Dresden dem MDR.

Das Beratungsunternehmen Frontier Economics hat einen Aufschlag von 20 Prozent genannt, aus der Politik hört man vereinzelt noch höhere Zahlen.

Dieser Aufschlag von 20 Prozent betrifft die Summe aus Beschaffung und EEG-Umlage. Beide zusammen betragen heute etwa 11,5 ct/kWh. Eine Steigerung von 20 Prozent bedeutet daher eine Strompreissteigerung von 2 bis 2,5 ct/kWh. Diese Steigerung hat auch die Kohlekommission erkannt und empfiehlt daher ab 2023 für private und gewerbliche Stromverbraucher einen Zuschuss auf die Übertragungsnetzentgelte oder eine wirkungsgleiche Maßnahme zur Dämpfung des Strompreisanstieges. Wird so verfahren, sollte es daher nur zu einem geringen Anstieg der Endkundenstrompreise unter dem derzeitigen Marktumfeld kommen. Am Ende ist der Strompreis aufgrund der vielen Steuern und Umlagen aber immer auch ein Politikum, welches an der Wahlurne beeinflusst werden kann.

Schon heute ist in Deutschland Strom europaweit mit am teuersten. Ist es nicht etwas leichtfertig, binnen 20 Jahren durch Atom- und Kohleausstieg rund 50 Prozent der heute verfügbaren gesicherten Kraftwerkskapazitäten vom Netz zu nehmen?

Dieser Wegfall ist natürlich dramatisch für die klassische Betrachtung der Stromversorgung. Diese erfährt jedoch zurzeit den größten Wandel ihrer Geschichte. Der immer wieder verhinderte Netzausbau stellt dabei ein großes Problem dar und sorgt gleichzeitig dafür, dass regenerative Erzeugungsanlagen abgeregelt werden müssen, da der von ihnen erzeugte Strom nicht in die Verbrauchszentren transportiert werden kann. Darüber hinaus haben wir in Deutschland zurzeit eine Vielzahl von Gaskraftwerken, die aufgrund der Marktstruktur gar nicht zum Einsatz kommen. Diese Kapazität kann genutzt werden, um die Volatilität der regenerativen Kraftwerke auszugleichen. Schlussendlich muss die Bundesnetzagentur in ihrer Rolle als Regulierer die Erzeugungskapazität sehr genau im Auge behalten und eventuell durch weitere Anreizmechanismen den Markt derart beeinflussen, dass neue Gaskraftwerke gebaut werden.

Wie steht es um die Versorgungssicherheit?

Die Ingenieure der Netzbetreiber und Energieversorgungsunternehmen haben gezeigt, dass die Anforderungen aus dem Umbau der Stromversorgung beherrscht werden können. Genau darauf zielt auch die Ausbildung an Hochschulen und Unis ab.

Zwei Milliarden Euro aus Steuergeldern sollen den Strompreisanstieg bremsen. Reicht das? Und: Damit werden die Verbraucher ja auch indirekt zur Kasse gebeten.

Da bin ich mehr der Techniker! Zurzeit zahlt ein Vier-Personen-Haushalt etwa 85 Euro pro Monat für Strom. Dieser Preis wird sich in den nächsten zehn Jahren unter den derzeitigen Modellen um 20 Euro erhöhen. Gleichzeitig sollte diese Preissteigerung aber auch einen Anreiz zum Stromsparen geben.

Wohin dürfte sich der Preis für die Kilowattstunde entwickeln?

Alles, was ich hier sage, kann in fünf Jahren schon wieder ganz anders aussehen. Der durchschnittliche Strompreis für Haushaltskunden lag 2018 bei etwa 32 ct/kWh. Je nachdem, wie die Bundesregierung die Hinweise der Kohlekommission umsetzen wird, wird dieser Preis um 2 bis 4 ct/kWh steigen. Die Gaspreise sind jedoch immer nur schwer zu prognostizieren, da es hier eine Vielzahl von geopolitischen Einflussfaktoren gibt.

Könnten da mehr Stromimporte als Preisbremse wirken?

Importe werden dämpfend auf das volatile Angebot der regenerativen Energien wirken. Da heute schon Wind- und Photovoltaik-Kraftwerke günstigere Erzeugungspreise haben als neue Kernkraftwerke, ist unklar, wie es im Ausland weitergeht. Sollte es auch dort zu einem Ausbau der Erneuerbaren kommen, kann Deutschland wegen der Gleichzeitigkeit bei der Erzeugung aus Wind und Sonne nur schwer mit dämpfenden Effekten aus den Nachbarländern rechnen.

Was können Verbraucher tun, um die Belastungen einzudämmen?

Der erste Schritt ist ganz klar: Strom zu sparen. Muss immer überall das Licht brennen? Wie viel Strom verbrauchen Standby-Geräte? Kann ich mein eigenes Verhalten ändern? Im zweiten Schritt sollte beim Kauf von elektrischen Geräten immer deren Stromverbrauch betrachtet werden. Vor allem im Bereich der IT wird immer noch der Stromverbrauch häufig ignoriert. Ein DSL-Modem verbraucht heute mehr Strom im Jahr als ein moderner Single-Kühlschrank. Im dritten Schritt kann natürlich auch jeder zum eigenen Stromerzeuger werden.

Das Interview führte Achim Preu.

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