Politik

Auf der Insel der Glückseligen: Kurz und Strache feiern papierne Hochzeit

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Pressekonferenz mit Ausblick: Journalisten in der Wiener Hochburg.

Von Christian Bartlau, Wien


Ein Jahr regiert Sebastian Kurz nun in Österreich mit den Rechtsaußen von der FPÖ. Die Koalition funktioniert besser als von Kritikern prophezeit. Den Politik-Professor der Nation wundert das nicht.

Nach ganz oben lud der Bundeskanzler der Republik, ins Dachfoyer der imperialen Wiener Hochburg, um seine Bilanz zu ziehen aus einem Jahr Regierung. Wer die ersten Monate von Sebastian Kurz im Amt verfolgt hat, glaubt nicht an eine zufällige Ortswahl, sondern an eine sorgfältige Inszenierung: Nach ganz oben, an die Spitze, dahin will Sebastian Kurz Österreich führen, das war sein ambitioniertes wie vages Versprechen im Wahlkampf.

Viele Journalisten sind gekommen, viel mehr als üblich, sogar internationale Kollegen. Kurz und sein Vizekanzler Heinz-Christian Strache werden simultan ins Englische übersetzt. Ihre Regierung steht seit Tag 1 am 18. Dezember 2017 unter verschärfter Beobachtung. Gerade erst hat das "Time"-Magazin den jüngsten Regierungschef Europas auf dem Titel platziert, versehen mit der Zeile: "Er bringt die Rechtsaußen in den Mainstream." Nichts, was Kurz aus der Fassung bringen würde: "Sie berichten, und die Wähler entscheiden."

Papierne Hochzeit: Kanzler Kurz und Vize Strache

Und sie entscheiden sich, jeder hier im Raum weiß das, für die Regierung. Gemessen an den Umfragewerten war das erste Jahr Türkis-Blau ein voller Erfolg, alle vier Landtagswahlen brachten ÖVP und FPÖ solide bis gute Ergebnisse. Kurz liegt in der Kanzlerfrage weit vor allen anderen Kandidaten, weder Skandale bei der FPÖ noch umstrittene Reformvorhaben kratzen an seiner Popularität. So lässt sich entspannt Bilanz ziehen.

Die Harmonie steht über allem

Es muss schwer sein, in der weitläufigen Residenz der österreichischen Kaiser, ein paar Schritte entfernt von der Hofreitschule, Sissis Amalienhof-Appartement und der Schatzkammer der Habsburger, einen so nüchternen Raum wie dieses Dachfoyer zu finden. Ein silberfarbenes Abluftrohr an der Decke lässt es fast wirken wie eine Fabrikhalle, und das passt, wohl auch nicht zufällig, zur Botschaft des Tages: viel erledigt, viel vor, vielen Dank.

Kurz beginnt mit einem Parforce-Ritt durch die Weltgemeinschaft: Krise in der Ukraine, Gewalt in Frankreich und, Achtung, "politische Unsicherheit in Deutschland": "Dagegen ist Österreich eine Insel der Glückseligkeit." Dank der Regierung, natürlich, die ihre gesammelten Errungenschaften netterweise in Hochglanzbroschüren für die Journalisten aufbereitet hat. "Zusammen für Österreich" lautet der Titel, der viel über das Erfolgsgeheimnis der Regierung verrät: Die Harmonie steht über allem.

Peter Filzmaier von der Donau-Universität in Krems, als Dauergast im ORF so etwas wie der Politik-Professor der Republik, zeigt sich im Gespräch mit n-tv.de beeindruckt von der professionellen Zusammenarbeit zwischen ÖVP und der FPÖ: "Die Regierung hat einen klaren Kommunikationsplan. Für die ganze Regierung, nicht wie früher nur die einzelnen Parteien oder Minister." Den Österreichern sind noch die Zeiten präsent, als der SPÖ-Kanzler Werner Faymann und sein ÖVP-Vize Reinhold Mitterlehner nach Koalitionssitzungen Sitzungen an zwei getrennten Pulten zwei verschiedene Standpunkte zu ein und demselben Gesetzesvorhaben abgaben. Heute weichen Kurz und Strache kaum eine Silbe voneinander ab. So weit reicht die Harmonie, dass Strache zum Vergleich mit einer echten Beziehung greift. "Es wäre also heute papierne Hochzeit." Und in so einer Beziehung müsse man sich immer in Erinnerung rufen, was man an dem anderen hat. "Schließlich könnten wir beide es ja nicht allein schaffen." Was Strache übrigens bei einem Auftritt im Januar dieses Jahres bedauerte: ""Hätten wir die absolute Mehrheit, könnten wir es wie der (ungarische Ministerpräsident) Orbán machen, aber die haben wir nicht", sagte er damals. Heute verkniff er sich diesen Satz. Die Harmonie.

Ein Kabinett von Kurz' und Straches Gnaden

Das gemeinsame Regierungsprogramm arbeiten ÖVP und FPÖ generalstabsmäßig ab, in einer Zielstrebigkeit, die viele Beobachter überrascht. Bislang kam Türkis-Blau noch nicht außer Tritt, auch nicht bei strittigen Themen wie der Arbeitszeitflexibilisierung, dem sogenannten Zwölf-Stunden-Tag, der zulasten der Kernklientel der FPÖ geht, zulasten etwa der Arbeiter auf dem Bau und in der Industrie. Auch die regelmäßigen Skandale bei der FPÖ, die schon zu einem Untersuchungsausschuss führten, haben weder Arbeitsbeziehung noch Umfragewerte angeknackst. Auch, weil die Opposition mit sich selbst beschäftigt ist: Die liberalen Neos und die SPÖ haben gerade Wechsel an der Spitze hinter sich, die Grünen sind vor einem Jahr gleich aus dem Parlament geflogen.

Politik-Professor Filzmaier überrascht der relativ reibungslose Start nicht. "Für eine Mitte-Rechts-Partei ist es leichter, eine gemeinsame Basis mit einer rechten Partei wie der FPÖ zu finden als mit einer Mitte-Links-Partei. Außerdem hat die Regierung aus den Fehlern der Vorgängerregierungen gelernt." Ein Beispiel: Früher berief die ÖVP ihre Minister nach Proporz. Einen aus dem mächtigen Bauernbund, einen aus Niederösterreich – klassisch Volkspartei. Nun hat außer Kurz keiner eine Hausmacht: "Die ÖVP hat nur Minister von Kurz' Gnaden, die FPÖ ist ohnehin stark hierarchisch strukturiert", analysiert Filzmaier.

Es muss was weitergehn

Auf die Harmonie als "wichtigstes Asset" der Regierung angesprochen, verzieht Kurz selbst allerdings das Gesicht: "Da muss ich widersprechen. Das wichtigste Asset ist: dass was weitergeht." Der ewige Stillstand der ungeliebten Großen Koalition musste beendet werden, auch das haben ÖVP und FPÖ aus den Vorgängerregierungen gelernt. Strache und Kurz hatten sich an diesem Dienstagmorgen auf die Metapher des "rot-weiß-roten Reformzugs" geeinigt, der auch 2019 weiterfahren soll. Punkt für Punkt listeten sie die großen Themen für das nächste Jahr auf: Steuer, Pflege, Digitalisierung.

Ein Hinweis darauf, dass das bisherige Thema Nummer eins in den Hintergrund rücken könnte: die Migration. Mit der Ablehnung des UN-Migrationspakts hat Türkis-Blau weltweit Schlagzeilen gemacht und in Deutschland Applaus aus der Mitte bis weit rechts bekommen, von Jens Spahn bis Alice Weidel – für die Regierung war es ein logischer Schritt im Einklang mit ihrer Innenpolitik. "Sie hat die Zuwanderung als eine Art Metathema über alle anderen Themen gestülpt", sagt Filzmaier. "Im Wahlkampf ist das okay, in der Regierung eher schwierig." Das beste Beispiel: In der Diskussion um die Reform der Mindestsicherung betonte die Regierung immer wieder den hohen Anteil der Migranten unter den Beziehern – und kürzte gleichzeitig die Zuwendung ab dem zweiten Kind, egal ob Österreicher oder nicht.

"Objektive Prioritäten", so Filzmaier weiter, hat die Regierung nach hinten gereiht. Die EU-Ratspräsidentschaft etwa. Um die Initiative zu den "Anlandeplattformen" in Nordafrika ist es sehr ruhig geworden. "Letztlich konnte die Regierung so auch Konflikte vermeiden", vermutet Filzmaier, "die FPÖ ist ja eher EU-kritisch eingestellt." Auf eine positive Haltung zur EU hatte Sebastian Kurz seine Regierung vor einem Jahr aber ausdrücklich verpflichtet. Und so hält er es nach einer goldenen Regel der Kommunikation: Tue Gutes und rede darüber. Vom Rest schweige.

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